Kulturschock in Marrakesch, oder "Mein Freund Ahmed hat die besten Gewürze der Stadt"

Reisezeit: 19. & 22.10. - 24.10.2014

Nach einer langen Nacht am Kölner Airport dürfen wir zur „besten“ Frühstückszeit von halb 5 in den Flieger um die nächsten 3 ½ Stunden die eine oder andere Mütze Schlaf nachzuholen.

Schon im Landeanflug sehen wir eine Vielzahl von Rot- und Ockertönen und so wird uns langsam aber sicher klar, dass unser kurzes Orientabenteuer endlich beginnt.

 

 

Wir werden am Airport vom Chauffeur begrüßt (hier sei die kurze Randbemerkung gestattet, dass wir uns sonst natürlich keinen eigenen Chauffeur leisten würden, das kostenlose Abhol-Shuttle war ein Angebot des Veranstalters der Wüstentour) und so fährt er uns in seinem –mit Teppich ausgelegten- Wagen in die Innenstadt, entlang der alten Stadtmauer, die einst zur Verteidigung diente, durch eines der großen Stadttore und bis hin zum Place Jemaa el Fna – dem Zentrum der Stadt.

 

 

Von hier aus gehen wir in eine kleine Gasse hinein und sehen das Schild des Hôtel Cécil, einem alten Riad, welches vor Ewigkeiten zum Hotel umgebaut wurde, preislich aber auf dem Niveau eines Hostels ist.

 

Im einen der beiden Innenhöfe steht der obligatorische Springbrunnen, durch den anderen wächst eine Palme hinauf und überragt das 3-stöckige Gebäude um Weiten.

 

 

 Da wir bereits um 9 Uhr morgens im Hotel ankommen, ist unser Zimmer noch nicht fertig, wir dürfen unser Gepäck aber dort zwischenparken und werden zum Frühstück auf den Dachbalkon eingeladen.


Die Schlangenbeschwörer von heute entsprechen optisch nicht mehr ganz dem Klischee aus 1001 Nacht...
Die Schlangenbeschwörer von heute entsprechen optisch nicht mehr ganz dem Klischee aus 1001 Nacht...

Von hier beobachten wir bei Croissants, Baguette, Marmelade, gekochten Eiern und (ganz wichtig) dem traditionellen grünen Minztee (nicht zu vergleichen mit Minz- oder Grüntee in Europa, mit 2 Würfeln Zucker aber doch sehr lecker) das Treiben auf dem langsam erwachenden Platz.

Schon jetzt gehen Schlangenbeschwörer, Henna-Tätowierer und Schausteller mit dressierten Berberaffen, die auf Schaulustige warten, ihrer Arbeit nach.

 

Doch erst am frühen Abend wird der Platz von den Gerüchen der gut 50 Garbuden, sowie dem „Lärm“ von Musikern, Geschichtenerzählern und anderen Akteuren zu seiner wahren Größe anwachsen und diese orientalische Magie versprühen, für die der Platz der Gehenkten so berühmt ist.

Nach dem Frühstück „wagen“ wir einen Ausflug in die labyrinthartigen Souks und lassen uns einfach orientierungslos durch die Gassen treiben, nach einer Weile erreicht man den Rand oder einen der größeren Plätze von ganz allein,

denn eine Karte bringt in diesem Wirrwarr aus Gassen, Quersträßchen und Hinterhöfen (die wieder mit unscheinbaren Gassen verbunden sind) nicht besonders viel.

Die Händler in den Souks leben vor allem von den Touristen, die nicht nein sagen können oder,

wie in unserem Fall, einige Stände später einfach mal das "Spiel" mitmachen wollen zu Handeln,

denn die Preise hier sind für europäische Verhältnisse sehr niedrig,

selbst wenn man als Europäer eine weit höhere Summe zahlen wird, als die Einheimischen.

 

Uns hat es ein kleiner Laden mit Wurzelholz-Arbeiten angetan, von Figuren über Schalen bis hin zu Masken hat dieser Stand alles.

You want spices?

 

- Non merci.

 

Aaaah, vous êtes français, je te fais un bon prix mon ami!

 

- Non merci.

 

Mais monsieur- venez, regardez, goûtez…

 

Was anfangs lästig erscheinen mag, ist ein wichtiger Teil der marokkanischen Kultur, der auch mir schnell Spaß zu machen beginnt.

Bestens "beschildert": Hier geht's zum Leder-Souk
Bestens "beschildert": Hier geht's zum Leder-Souk

Bonjour mon frère, t’as vu les masques? Elles sont belles, n’est-ce pas?

 

 

Schön sind sie zwar, aber Masken interessieren mich nicht besonders…

 

 

Achso, dann schau mal hier, oder.. da, ich halb alles was du willst und ich mach dir einen guten Preis, nur weil du es bist mein Freund..

 

 

So beginnt ein Gespräch zwischen uns, welches zwischen ein paar freundlichen Fragen immer wieder mein Auge auf seine Kostbarkeiten lenken soll- vielleicht nicht in der dezentesten Form, aber Spaß macht es trotzdem:

 

 

Wo kommst du her, mein Freund?

 

- Aus Deutschland, vielleicht kennst du Köln, das liegt in der Nähe…

 

Ooooooooh, natürlich.

Die Deutschen sind meine besten Kunden, immer so direkt und freundlich und überhaupt… hast du das tolle Schachspiel dort auf dem Regal schon gesehen, für dich nur 350 Dirham…

 

Ich nehme mir vor, mich beim nächsten Mal an seinem Stand als Liechtensteiner, Andorraner oder Einwohner der Vatikanstadt auszugeben, sicherlich sind die auch die beeeesten Kunden überhaupt…

 

 

 Alles zusammen für 400 Dirham, nur für dich mein Freund!

 

- Zu viel, wir sind doch arme Studenten!

 

Hmm, dann etwas weniger… 350 Dirham…

 

Nach einigen Hin und Hers schlagen wir bei 260 Dirham (etwa 25€) ein und haben 2 schöne Figuren und eine kleine polierte Holzkiste gekauft.

Er strahlt vor Freude, da er ein gutes Geschäft gemacht hat,

wir sind auch zufrieden, denn die Preise sind wie erwähnt trotz „Europäer-Aufschlag“ niedrig.

 

Gerade als wir seinen Laden verlassen wollen, fragt er ob wir bereits die Gewürze gekauft hätten,

für die Marrakesch so berühmt ist.

 

Nein?

 

Dann bring ich euch zu meinem Freund Ahmed, der hat die besten Gewürze und euch, meinen Freunden, macht er natürlich einen Freundschaftspreis.

Wieder spielen wir mit (Kaufen wollten wir ein paar Gewürze sowieso, also warum nicht…) und finden uns 2 Minuten später im kleinen Laden von Ahmed wieder.


Der Ablauf beginnt von vorn,

nur dass wir dieses Mal vor Verlassen des Ladens gute 30 Gewürze gerochen oder gekostet haben um letztendlich zwei kleine Säcke mit hiesigen Gewürzen zu kaufen. 


Dass wir 2-3€ mehr bezahlen können wir verkraften, für die örtlichen Händler hingegen ist dies ein Vermögen und die Grundlage ihres Überlebens.

Vor Ahmeds Laden wartet Ismael, unser Wurzelholz-Händler auf uns und scheint darauf zu hoffen,

dass wir auch noch weitere Freunde von ihm mit unseren Portemonnaies beglücken wollen, doch wir lehnen höflich ab, denn wir wollten nun gerne die ehemalige Koranschule besichtigen, ob er uns sagen könnte, wo die genau ist?


Natürlich, du gehst weiter geradeaus, hinter der großen Kreuzung rechts und dann nochmal rechts, aber lass‘ dich nicht von den Jugendlichen anreden, die wollen von den Touristen Geld dafür haben dir den richtigen Weg zu zeigen…
Sowas aber auch- Einheimische, die Geld an Touristen verdienen wollen,
das hätten wir nicht erwartet…


Mit einem Lachen und dem Versprechen, was immer wir brauchen zu seinem Stand zurückzukommen,

machen wir uns weiter in Richtung Médersa Ben Youssef, der einzigen Koranschule der Welt, die von Nicht-Muslimen betreten werden darf. 

 

Das Gebäude ist gute 500 Jahre alt, wurde in den 1950ern restauriert und ist heute nur noch zur Besichtigung gedacht, die Studien des Korans werden anderswo betrieben.

Gleich mit dem Eintreten in die alte Schule fällt der große Temperaturunterschied auf, der durch die Bauart erreicht wird.

Das Auge jedoch blickt fast ausschließlich auf die Wände, denn die Médersa ist ein Kunstwerk in sich, besteht sie fast ausschließlich aus Holz und kaum ein Zentimeter dieses Holzes ist nicht mit Schnitzereien verschönert worden oder wurde mit Mosaiken besetzt- Wahnsinn!

Médersa Ben Youssef-    wieviele Menschen wohl am Schnitzen der Wände beteiligt waren?
Médersa Ben Youssef- wieviele Menschen wohl am Schnitzen der Wände beteiligt waren?

 

 

Nach etwas mehr als einer Stunde verlassen wir die Koranschule und bummeln weiter durch die Souks, bis wir vor der Koutoubia Moschee, der größten Moschee der Stadt und der ältesten in ganz Marokko, stehen.

 

Im Gegensatz zu den Kirchen Europas, sind Besichtigungen hier streng untersagt und so bleibt uns nur der Blick von außen auf die Moschee mit ihrem Minarett, welches sämtliche Gebäude weit überragt.

 

 

Außerhalb der Souks fällt einem stärker denn je auf, dass Marokko zwar eines der (im westlichen Verständnis) modernsten Länder Nordafrikas ist, es aber dennoch einen sehr niedrigen Lebensstandard gibt.

 

 

Sieht man auf der einen Straßenseite ein hochmodernes Multimediageschäft mit Flachbildschirmen und co, stehen gegenüber Straßenarbeiter, welche kein Geld für einen Wagen bekommen, sondern mit Zugtieren die neuen Pflastersteine hertransportieren,

Händler, die sich kein Pferd oder Muli leisten können und somit ihren Wagen selber ziehen und nicht zuletzt solche, die unter der Last ihrer eigenen Ware einzuknicken scheinen, da sie nicht einmal genug Geld für eine kleine Sackkarre haben und somit ihr Hab und Gut auf dem eigenen Rücken durch die Stadt tragen.



Eine Mischung aus 1000 Gerüchen und einem "schönen" Lärm- Garbuden auf dem großen Platz
Eine Mischung aus 1000 Gerüchen und einem "schönen" Lärm- Garbuden auf dem großen Platz


Gegen Abend schlendern wir über den Jemaa el Fna, wo nun Garbude an Garbude gereiht ist,

der Platz erinnert dabei doch sehr an ein riesiges Freiluftrestaurant.

Ähnlich wie in den Souks, wird man von allen Ständen gleichermaßen umworben, meist sind es jedoch Großfamilien, die die Buden betreiben.


Untereinander machen sich die Stände kaum Konkurrenz, erinnert die Speisekarte von Ali doch sehr an die von seinem Nachbarn Hassan, die wiederum nicht von der Karte der Familie Chraibi zu unterscheiden ist.


"marokkanischer Salat, Fisch, Spieße, Tagine- wir haben alles..."
"marokkanischer Salat, Fisch, Spieße, Tagine- wir haben alles..."

Eine Besonderheit des Jemaa el Fna jedoch, ist das Zusammentreffen der Kulturen:


Während in den Souks -neben den Händlern selbst- hauptsächlich Touristen anzutreffen sind, ist der große Platz ein Restaurant und "Vergnügungsplatz" für Einheimische und Reisende gleichermaßen.

Nach unserem Essen am ersten Abend bei Ali, werden wir vom Vater der Familie Chraibi zu seinem Stand gebeten, wir lehnen dankend ab, da wir absolut satt sind.

Aber wir würden uns riesig freuen, wenn ihr morgen zu uns kämt!

Wir sind Stand 25, der Stand der Herzen!

Am nächsten Abend lassen wir es uns natürlich nicht nehmen und werden schon von Weitem begrüßt:


Aaaah, mes amis, wie toll, ihr habt an Stand 25 gedacht! Merci, setzt euch bitte, mes amis...


Hatte man in den Souks oft das Gefühl, dass die Händler nicht den Menschen sehen, sondern ausschließlich sein Geld, ist es auf dem Platz genau umgekehrt:

Obwohl wir zu zweit jeweils zwei Vorspeisen und einen Hauptgang bestellen, zwei Gläsern Minztee trinken und somit zusammen gerade mal 8€ ausgeben, werden wir bedient, als ob wir seit Jahren Stammkunden oder beste Freunde der Familie wären. 



Ein weiterer Ausflug am Folgetag bringt uns aus der Medina heraus an den Rand der Neustadt.

Hier legte vor etwa 90 Jahren der französische Maler Jacques Majorelle den später nach ihm benannte Garten an.

Heute ist der Majorelle Jardin besonders durch den Designer Yves Saint Laurent bekannt, der ihn 1980 kaufte und einige Teile neu strukturierte.

 

Obwohl der Garten vergleichsweise klein ist, kann man problemlos Stunden in ihm verbringen,

ob man nun zwischen den Pflanzen aus allen Kontinenten herspaziert, oder lieber die vielen kleinen Details entdeckt.

Graffitti mal anders, Bambuspflanzen mit Schnitzereien von Besuchern des Jardin Majorelle
Graffitti mal anders, Bambuspflanzen mit Schnitzereien von Besuchern des Jardin Majorelle




Am Rand eines großen Beetes laufen wir an einer jungen Frau vorbei, die wie Majorelle und Saint Laurent selbst, den Garten als Inspirationsquelle nutzt und im Schneidersitz auf dem Boden einige Details der Pflanzen nachzeichnet.

 

Die schlichten Farben, besonders im häufig gewählten "Majorelle-Blau" strahlen dabei eine Ruhe aus, die sich scheinbar auf die Besucher überträgt...

 


 

Am letzten Tag unseres Aufenthaltes in Marrakesch wollen wir die Saadiergräber besichtigen,

einer Grabanlage eines alten Herrscherhauses aus dem 16./17. Jahrhundert, die von den folgenden Dynastien zugemauert wurde und erst zufälligerweise Anfang des 20. Jahrhunders wiederentdeckt wurde.

Die Anlange selbst ist weniger spektakulär als der Gedanke, dass über 60 Gräber, die in einer Art riesigem Hinterhof liegen, für weit über 400 Jahre unentdeckt bleiben konnten.

 

Auf dem Weg zur Nekropole durch die etwa ein Meter breite Gasse wird jedoch klar, wieso eine einfache Mauer genügte um den Zugang zu den Gräbern vor den Augen der Einwohner zu verbergen.

In der Anlage selbst fallen erneut die detailreichen Schnitzereien und typischen Mosaike auf, selbst die Totenstätten der Marokkaner kommen einem großen Kunstwerk gleich.

Zahlreiche Särge aus Stein, von Kindern wie von Erwachsenen sind in den Boden der Saadiergräber eingearbeitet- eine ganze Dynastie von Sultanen und ihren Familien.

 

Die hohen Torbögen unter denen die Grabstätten geschützt liegen werden von einem kleinen Garten umsäumt. Während wir in einer Schlange anstehen, um uns das größte Grab anschauen zu können, spielt eine Katze unbeeindruckt zwischen den Rosenbeeten und scheint sich zu fragen was die ganzen Menschen in ihrem Spielzimmer wollen...


Im Anschluss daran, machen wir uns auf den Weg zum Palais el Badi, einer riesigen Ruine eines alten Palastes,  der gut hundert Jahre nach seiner Erbauung im 16. Jahrhundert von der nächsten Herrscherdynastie auseinandergenommen wurde um die Steine und Mosaike in einem neuen Palast anzubringen- über den vermeintlichen Sinn davon mag man sicherlich streiten...


Der Innenhof dieser riesigen Ruine ist über 200 Meter lang, vor Augen kann man sich ausmalen, wie das Bauwerk ausgesehen hat bevor es in seine Einzelteile zerlegt wurde... 


Obwohl der Palast nur noch eine Ruine ist, gibt es neue "Könige", welche die Anlage in ihren Besitz genommen haben:

 Die Mauern und Turmspitzen sind übersät von Storchennestern.

Die Störche sind heute eine Art Markenzeichen der Ruine des Palais el Badi
Die Störche sind heute eine Art Markenzeichen der Ruine des Palais el Badi

Abends fahren wir an den Airport zurück,

5 erlebnisreiche Tage (3 davon in Marrakesch und 2 auf dem Weg zur Sahara und zurück)  in Marokko gehen zuende und um den Zauber des Orient noch etwas zu verstärken, spricht uns am Airport ein etwa 80-jähriger Muslime,

der auf seine Maschine nach Birmingham wartet, an.

Er erzählt uns aus seinem Leben, in den 60ern hätte er Deutschland mal gesehen, ansonsten sei er viel um die Welt gereist und überhaupt... wie uns Marokko gefallen hätte...

Wir unterhalten uns eine gute viertel Stunde, bis die Maschine nach Birmingham aufgerufen wird und er sich mit den Worten verabschiedet:

Ich möchte euch um etwas bitten ... nichts Schlimmes ... würdet ihr mir den Gefallen tun und etwas über den Islam lernen wenn ihr zu Hause seid?

Ich möchte euch nicht bekehren, sondern nur zeigen, dass meine Religion nicht das ist, wofür sie von immer mehr Menschen gehalten wird...

Lebt wohl und habt ein erfülltes Leben!

 

Und so ging er zum Gate und unser Marokkoabenteuer endete...

 

So long,...

 

 

Weiter zur Wüstentour,

von Marrakesch über den Hohen Atlas

bis an den Rand der Sahara...

Kommentar schreiben

Kommentare: 0