Agra: Dachrestaurantreflexionen über Kulturen, Weltwunder und Armbanduhren

Reisezeit: 10.09. - 13.09.2016

14 Uhr. Der Kerala Express fährt nach gut drei Stunden Fahrt in der Millionenstadt Agra ein.

Ich verlasse mein gefängnisartig- vergittertes Zugabteil und betrete den Stadtrandbahnhof Agra Cantonment.

Nach etwa drei gemachten Schritten auf dem Bahnsteig springen mir (einziger weißer Tourist weit und breit) die ersten drei Tuktuk-Fahrer entgegen um mich mit einem "Hallo mein allerbester Freund, ich mache dir guten Preis für Fahrt in Stadt, weil du mein Freund bist" zu begrüßen.

An meinem ersten Reisetag hätte mich der um mich schwirrende Halbkreis an Personen wohl noch etwas geschockt, aber nach drei Tagen ist man dermaßen darauf abgestumpft, dass man die Tuktukfahrer - meist ohne ein weiteres Wort - einfach stehen lässt.

Nach einem Besuch bei der bahnhofsansässigen Tourist-Police kenne ich den aktuell normalen Preis um in das 6 km entfernte Stadtviertel Tajganj zu fahren und fange den kleinen Preiskampf mit anderen Fahrern an, denn: wer nicht auf dich zukommt ist ein guter Fahrer, wer hingegen dich verfolgt und mit Angeboten löchert, will dich meist beim Hotel seines Cousins vorbeifahren, oder mindestens beim Stoffgeschäft des Schwagers!

 

Schnell werde ich mir mit einem der geschätzt 30 wartenden, in der Sonne vor sich hin"bratenden" Fahrer einig und er fährt mich in die Nähe des von mir gewählten Hotels "Kamal".

Der Monat September gilt als extreme Nebensaison und so habe ich kein Zimmer vorgebucht, sondern höre einfach spontan vor Ort nach, gerade die (für indische Verhältnisse) Mittelklassehotels freuen sich in dieser Zeit über ein nicht ganz leerstehendes Hotel und machen einem meist bessere Preise, als die im Internet angegebenen- in meinem Fall z.B. 8€ pro Nacht im privaten Doppelzimmer mit Bad und dem (bei über 40 Grad im Schatten) obligatorischen Ventilator.

 

Nach einem kurzen Spaziergang durch das Viertel Tajganj lasse ich den Tag bei einem Aloo Palak (einem indischen Spinat-Kartoffelcurry) und einer Sprite ("Sorry, Cola, Fanta, Osaft und die anderen Kaltgetränke von der Karte haben wir leider gerade nicht- wir hätten Wasser oder Sprite im Angebot") auf dem wunderschön gelegenen Dachrestaurant des Hotels ausklingen.

Neben dem Ausblick in Richtung Taj Mahal, den ich in den nächsten Tagen stundenlang genießen werde, fallen hier vor allem die örtlichen Einwohner besonders auf: Rhesusaffen bevölkern sämtliche Dächer im Umkreis und auch auf dem Hoteldach schauen sie regelmäßig vorbei.

Auf den ersten Anschein friedlich, sind die Affen besonders für ihre zerstörerische Ader bekannt:

So schaue ich nach gerade einmal fünf Minuten zu, wie sie den Schlauch eines Warmwassertanks durchbeißen (bei der Hitze ist man halt durstig) und eine komplette Dachterrasse unter Wasser setzen- ganz zur Freude des Besitzers.

 

Beim Gespräch mit dem Kellner lerne ich nicht nur viel darüber, wie man die Affen erfolgreich verjagt (zum Terrassenbesuch bekommt der Gast immer einen Stock gereicht, denn die Affen klauen nicht nur das Essen, sondern sind auch angriffslustig gegen Menschen -"aber sie sind doch sooooooo süüüüüüß"), sondern er erzählt mir vor allem vom (wie er selbst findet) immer noch sehr veralteten Kasten- und Gesellschaftssystem.

So darf er beispielsweise seine Freundin nicht heiraten, da ihr Vater nur einwilligt, wenn der Schwiegersohn in spe einen Managementjob hat.

Eine unmögliche Vorstellung für den Vater, dass seine Tochter einen einfachen Hotelangestellten heiraten könnte- wo sie doch Pilotin ist ...

So setzt er also alles daran, im Betrieb aufzusteigen, doch falls das nichts wird, so erzählt er, will er auswandern - denn alle auch nur ansatzweise westlichen Länder gelten hier als wirtschaftliches El Dorado...

 


Für den nächsten Morgen habe ich bei meinem Tuktukfahrer vom Vortag eine Tagestour gebucht- vor allem um in das 16 km entfernte Sikandra zu fahren.

Am Treffpunkt steht er bereits mit einem weiteren Tuktuk und fragt, ob ich auch mit seinem Bruder und einem Freund fahren würde- die beiden wären noch nicht so lange dabei, bräuchten das Geld eher als eher, sprächen zwar kein gutes Englisch, aber wären sehr lieb und zuvorkommend... naja- warum nicht.

 

Nach etwa 40 Minuten, über holprige Straßen, im Slalom um Kühe, Händler mit ihren Karren voller Waren, sowie eine Hindu-Straßenzeremonie erreichen wir schließlich Sikandra.

Hier steht das Mausoleum von Akbar dem Großen- der als wichtigster Mogul der indischen Geschichte gilt, da er das Reich vergrößert und die Lebensbedingungen im Indien des 16. und frühen 17. Jahrhunderts stark verbessert hat.

Nicht zuletzt deswegen, ist seine letzte Ruhestätte mehr ein riesiger Palast, umgeben von einer Parkanlage.

 

Nach dem Durchqueren des Torhauses (Foto) befindet man sich auf dem Gelände des Mausoleums.

In der Mitte ein riesiger Palast, mit nur einem Eingang (dieser führt in die überraschend unspektakuläre Gruft seines Sarkophages), drumherum aber in vier großen Anlagen befindet sich eine Grünlandschaft in der viele Pfaue und selbst eine Antilopenherde umherstreifen- beeindruckend!

 

Zurück zum Tuktuk, finde ich meine beiden Fahrer im Tiefschlaf vor (die Arbeitszeiten mag wohl keiner haben) und entscheide mich, erstmal bei einem Straßenstand etwas zu trinken zu holen, damit die beiden noch eine viertel Stunde länger Pause machen können.

Als einer mich aber bemerkt, springt er sofort auf und weckt seinen Freund- auch mein Einwand, dass ich es nicht eilig hab beruhigt ihn nicht... und so fahren wir einige Momente später wieder in Richtung Innenstadt zurück.

Das Leben auf indischen Straßen ist für alle kein leichtes    -                    ein Fahrradrikschafahrer auf der unbefestigten Straße nach Sikandra
Das Leben auf indischen Straßen ist für alle kein leichtes - ein Fahrradrikschafahrer auf der unbefestigten Straße nach Sikandra

Auf dem Rückweg beginnt dann eine etwas bizarre Unterhaltung, denn der ältere der beiden Fahrer hätte gerne, dass ich ihm meine Armbanduhr schenke (an der ich zugegebenermaßen sehr hänge).

Erst tue ich das ganze für einen seiner Späße ab und lehne die Frage mit einem Lachen ab, aber er wiederholt die Frage immer und immer wieder (andere Europäer hätten ihm auch schon Dinge geschenkt), bis ich dann doch etwas pampig werden muss und mit dem Streichen des für ihn überlebenswichtigen Trinkgeldes drohe, wenn er nicht ablässt- eigentlich schade, da ich auf diese Art von Umgang keine Lust habe...

 

Er entschuldigt sich und alles ist wieder gut- dennoch gibt mir eine solche Situation doch sehr zu denken- für im Tourismus arbeitende Inder sind wir Europäer nicht zuletzt die große Geldmaschine der ehemaligen Kolonialherren, doch manchmal scheinen auch die Inder (gerade bei ihren niedrigen Löhnen) ein falsches Verständins davon zu haben, was hundert Euro für uns sind, oder dass es so etwas wie einen persönlichen Wert gibt...

 

 

Als uns einige Meter später ein Reifen platzt, müssen wir in eine Werkstatt- der Armbanduhrfahrer fragt mich, ob ich ihm umgerechnet 15 Cent für einen neuen Reifen "leihen" kann- natürlich kann ich ... und gerade hier wird mir klar, wie unterschiedlich unsere Welten besonders in finanzieller Sicht sind...

 

Nach diesem kurzen Stopp fahren wir weiter, nun zur Jama Masjid (so heißt wohl ziemlich jede Stadtmoschee) und anschließend weiter zum gewaltigen Agra Fort.

Das Agra Fort erinnert im ersten Moment an eine Szene aus Game of Thrones, doch im Inneren werden dann sowohl hinduistische als auch muslimische Einflüsse deutlich.

 Oberhalb des Flusses Yamuna gelegen, befinden sich innerhalb der Mauern des Forts kleine Paläste, offenen Säle in denen der Herrscher politische und militärische Pläne entwarf und weitere Parkanlagen, welche in Flussrichtung allesamt zum omnipräsenten Taj Mahal blicken.

 

Da es bereits mein fünfter Tag in Indien ist, habe ich mich daran gewöhnt, dass ich als einer der wenigen Weißen für die Inder ein Kuriosum darstelle und jeden Tag mehrfach gefragt werde, ob man nicht ein Foto mit einem machen dürfte.

Während ich in Delhi noch etwas verwirrt reagiert habe, hat es mittlerweile etwas belustigendes, dass ich -der hier reist um die indische Kultur kennenzulernen- für überraschend viele Inder einer der ersten Kontakte mit einer ihnen genauso fremden Kultur bin- also:

Einmal lächeln...Blitz...Foto begutachten...Hand schütteln und weiter gehts!


Zurück am Hotel verabschiede ich mich von meinen beiden Fahrern, zahle ihnen neben den ausgemachten 10€ für eine Tagestour (allein der Betrag ist eigentlich schon peinlich niedrig) nochmal je 5€ Trinkgeld, wofür mich der Armbanduhrfahrer umarmen möchte (nein- er hat nicht versucht dabei die Uhr zu erwischen :-D ) und mache mich dann -und täglich grüßt das Murmeltier- auf die Dachterrasse und lasse den Tag mit stundenlangem Betrachtens (oder sollte man schon fast sagen: Einsaugens?) des Taj Mahals ausklingen.


Mein letzter Tag in Agra beginnt mit einem recht frühen Wecker, denn heute werde ich auf das Gelände des Taj Mahals gehen-

eines der drei Tore öffnet bereits um sechs Uhr morgens und mit dem Touristenticket (Ausländer zahlen den etwa dreifachen Eintrittsbetrag- so wird gewährleistet, dass auch die weniger verdienenden Inder "ihr" Weltwunder besichtigen können) umgeht man sämtliche Schlangen und ist nach wenigen Minuten bereits bei den Securities angekommen.

Nachdem man ein Sicherheitsscreening (offiziell darf man fünf Gegenstände mit auf das Gelände nehmen- mehr nicht) durchgangen hat und das große Tor des Eingangsgebäudes durchquert hat, eröffnet sich einem der tausend Fach auf Fotos gesehene und doch zum Mund-Offen-Stehen führende Anblick des Mausoleums mit seinem reflektierenden Wasserbecken.

Hat mich schon der Anblick vom Hoteldach fasziniert, ist das Gefühl das Plateau selbst nun endlich zu betreten doch ein ganz anderes...

An diesem morgen scheine ich Glück zu haben, denn häufig ist durch die hohe Lufverschmutzung der Taj selbst in eine Wolke aus Feinstaub gehüllt.

 

Das Mausoleum selbst ist ohne Schuhe (oder für die feineren westlichen Damen und Herren auch gerne Schuhüberzieher) zu betreten, Fotos sind verboten und man wird gebeten schnell zu gehen- besonders nachmittags bilden sich hier Schlangen von weit über tausend Besuchern- heute morgen sind es vielleicht 150, die im Gänsemarsch durch das Innere gehe, einmal um die beiden "falschen" Sarkophage (denn die eigentlichen Gräber liegen einige, nicht zugängliche Etagen tiefer) und dann durch das Hintertor wieder raus.

 

Zum Aufsaugen der Atmosphäre setze ich mich auf eine Bank neben der benachbarten Moscheen, um deren Spitze neben Alexandersittichen auch einige Geier fliegen, und lasse dieses Weltwunder (und hier ist der Begriff meiner Meinung nach wirklich angebracht), dessen Größe man so garnicht begreifen kann, einfach nur auf mich wirken...

 

Ich könnte nun mehrere hundert andere Ansichten des Tajs zeigen, aber da das Gebäude gezielt so gebaut wurde, dass es aus allen vier Richtungen gleich aussieht, wären diese Bilder wohl etwas einschläfernd...

Nach etwa zwei Stunden ist der Spuk vorbei- es kommen mehr und mehr Busladungen an Touristen- hauptsächlich Inder, aber auch einige Europäer sind dabei, und so beschließe ich, bevor das Gelände hoffnungslos überlaufen ist, gen Ausgang zu gehen und - nachdem ich den weiteren Reiseplan für den folgenden Morgen beschlossen habe - den gesamten Rest des Tages auf der Dachterrasse zu verbringen.

Neben dem Anblick des Tajs, welchen ich weiter und weiter aufsauge (wer weiß, wann man das alles wieder mit eigenen Augen sehen wird), unterhalten mich die örtlichen Affen mit ihrer Form von Mission-impossible-ähnlichen Sprüngen von Dach zu Dach ...und so geht langsam aber sicher mein letzter Tag in Agra zuende.

 

Morgen geht es (raus aus den Millionenmetropolen, rein in die Natur) per Überlandbus in die Stadt Bharatpur, welche an den Keoladeo National Park grenzt.

 

Aber für heute wäre es das erstmal;

so long,...

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Kommentare: 2
  • #1

    wolfgang decker (Freitag, 30 September 2016 16:22)

    danke für den interessanten einblick in dein reiseprogramm, bin gespannt auf die nächsten tage
    wolfgang

  • #2

    Marie (Samstag, 01 Oktober 2016 00:58)

    Das Mausoleum von Akbar dem Großen ist wunderschön! Bin gespannt auf weitere Einträge.