Bharatpur- Zwischen Wildnis und Wohnzimmer

Reisezeit: 13.09.-15.09.2016

Eine Busstunde von Agra entfernt, kurz hinter der Staatsgrenze zu Rajasthan, liegt die von Touristen eher selten besuchte Stadt Bharatpur.

Kaum setze ich den ersten Fuß aus dem Bus, kommt mir ein Fahrradrikshafahrer entgegen, doch im Vergleich zu meinen bisherigen Erlebnissen in Indien, bietet er seine Dienste nicht mit der üblichen "Hier ist es gefährlich"-Masche an, sondern erzählt mir, dass er einer der offiziellen Fahrrad-Guides für den Keoladeo Nationalpark ist, der eigentliche Grund weshalb ich mich nach Bharatpur 'verirrt' habe.

Herr Singh, der Guide, ist ein Sikh, wie soviele der Führer im Park.

 

Die Sikhs gehören einer religiösen Minderheit an, die nach einem gewalttätig niedergeschlagenen Portest gegen die hinduistische Führung des Landes für einige Jahre von der Mehrheit der (hinduistisch und muslimischen) indischen Bevölkerung ausgeschlossen wurde, da sie doch ernsthaft ihre eigenen Rechte haben wollten- ein eher düsterer Punkt in der indischen Geschichte (zumal der Mord an der Präsidentin Indira Gandhi durch Sikh-Extremisten die Lage der Religion nicht gerade verbessert hat...)

 

....wie dem auch sei - Herr Singh ist mir sympathisch, wir einigen uns auf eine Nachmittagstour durch den Nationalpark, doch vorher fähr er mich zu meinem Hotel, dem Iora Guest House.

 

 

 

Da ich erst kurz nach Ende der Monsunzeit ankomme, ist das Hotel fast ausgestorben, oder besser gesagt, gibt es fünf Personen im Haus:
Die beiden Chefs, der Koch, ein Cleaner (Putzmann klingt einfach bizarr) und ... mich.

 

Das Hotel wird von einem Fotografen geleitet, der selbst regelmäßig im Park unterwegs ist und so hoffe ich doch zumindest einen Bruchteil der von ihm fotografierten Tiere auf meinen Touren durch den Park zu sehen.

Nach einer kurzen Pause steht auch schon Herr Singh bereit und fährt mich aus dem Ort heraus und rein in den Nationalpark - die nächsten sechs Stunden wird er mir vor allem Vögel, aber auch Warane, Flughunde, Nilgauantilopen, Schakale und so einige weitere Tiere zeigen, sein indientypischer Lohn dafür:

 

Umgerechnet 1,50€ pro Stunde, bzw. 2€ in meinem Fall, da ich von ihm ein Fernglas miete... zum Abschluss unserer Tour gebe ich ihm noch mal 10€ Trinkgeld, aus reiner Dankbarkeit für das Gesehene und damit er sich morgen einen Tag frei nehmen kann...

...mir wird erneut klar, wie unterschiedlich das europäische gegenüber dem indischen Verständnis von Geld ist...

 

Am nächsten Tag mache ich mich erneut auf den Weg in den Park, dieses Mal aber alleine, da man mit dem Fahrrad nur einen Bruchteil des Park erkunden kann.

Vorbei an der Parkkasse, nun noch eine Hand voll Guides abwimmeln...


 

 

"Ohne mich siehst du nur die langweiligen Vögel, keine Kobra (die man sowieso nur im absoluten Glücksfall sieht), keine Flughunde (doch, ich weiß ja jetzt wo)
...und überhaupt, du brauchst nen Guide für den Park"-

 

Ein dezentes "Nein, danke" muss reichen, auch wenn mir das Abwimmeln immernoch schwer fällt, ich bin nunmal hier, damit ich eine schöne Zeit hab, wenn ich damit ein paar Leute aus dem Tourismus durchfüttern kann, sei es mir recht, aber den Vertreter der barhmerzigen Schwestern muss ich beim besten Willen nicht geben, ein bisschen Ego ist hier wohl mehr als nötig!

Keine Hundert Meter hinter dem Parkeingang überquert ein riesiger Waran den Weg und stellt sich -als er mich bemerkt- im Wurzelwerk am Wasserrand tot.

Kurze Zeit später verlasse ich den Hauptweg und gehe weiter durch die schmalen Buschpfade, bis eine Wildkuh vor mir steht und fest davon überzeugt ist, dass dieser Weg nur ihr alleine gehört ... und zwingt mich zum Umkehren.

 

Alles in allem verläuft der zweite Tag im Nationalpark genauso eindrucksvoll wie der erste, mit dem vielleicht einzigen Unterschied, dass ich konsequent von einem Schwarm Feuerlibellen verfolgt werde, die wohl im wahrsten Sinne des Wortes einen Narren an meinen Schuhen gefressen haben.

Der Tag führt mich bei mittlerweile sengender Hitze durch schmale Buschpfade, vorbei an Lichtungen auf denen die heimischen Vögel nisten und zurück auf den Weg, der den Park druchquert.

 

 

Nachdem kurz vor mir tatsächlich eine Kobra den Weg überquert (wer sich diesen 2-3 Sekunden mehr erschrocken hat -die Schlange oder ich- sei dahingestellt) kehre ich zurück zum Guest House, gönne mir eine Cola auf der Terasse und auf einmal bekomme ich Besuch von einer eineinhalb Meter langen (nicht giftigen) Wasserschlange, die aus dem Straßenabfluss hochgeschlängelt kommt.

Nicht nur für mich ein Highlight, denn auch die Hotelcrew und einige Kinder aus der gegenüberliegenden Schule komme angelaufen, um sich das Tier aus der Nähe anzusehen - ein unerwarteter und umso schöner Tagesabschluss...

 

Am letzten Tag stand nun die Stadt Bharatpur selbst auf dem Plan.

Während man mir in Agra noch was vom "kleinen Städtchen" Bharatpur erzählte, wurde mir vor Ort erst deutlich, dass die Inder ein vollkommen anderes Verständnis von Größe haben, denn dieses "Städtchen" ist etwa so groß wie Frankfurt.

 

Von einigen kleinen Tempeln abgesehen, ist besonders der alte Stadtpalast -heute ein Museum- erwähnenswert.

 


Über die scheinbar kulturelle Bedeutungslosigkeit der Stadt konnte man sich im Museum amüsieren, wo neben alten Waffen der indischen Armee auch ein Eiffelturm (liegt jetzt nicht so wirklich in der Nähe) aus Bharatpurer Eisen, auch mein persönliches Lieblingsausstellungsstück gezeigt wurde- ein Schaffell, welches der frühere Herrscher der Stadt von einem australischen Botschafter geschenkt bekommen hat - ABSOLUT sehenswert!

Der Palast als Gebäude war, besonders wegen seiner vollkommen intakten türkischen Bäder, zwar den Besuch wert, aber nach einer knappen Stunde, spaziere ich durch den Ort zurück und sehe einige Anhänger, die an Straßenecken geparkt sind, und schon fast an Karnevalswagen erinnern.

Im Hostel angekommen, frage ich Jeetu, einen der beiden Leiter, nach den Wagen und er erklärt mir, dass heute das Ganesha-Fest stattfindet, bei welchem der Sohn des hinduistischen Hauptgottes gefeiert wird.

Nun kam aber die für mich größte Überraschung meiner Indienreise:

Jeetu lädt mich ein, gemeinsam mit seiner Familie an der Zeremonie teilzunehmen, ich bin schlicht und ergreifend baff über mein Glück und warte den restlichen Nachmittag zappelnd darauf, dass es Abend wird und die Zeremonie beginnt.

 

Gegen sechs Uhr holt mich Jeetu ab und wir fahren gemeinsam mit seiner Mutter, Bruder, samt Frau und 2 Kindern zum nächstgelegenen Tempel an einem See, denn die Statue des Gottes Ganesha wird im Rahmen der Zeremonie in einem natürlichen Gewässer versenkt.

Der Tempelpriester freut sich sogar über mich als nicht-hinduistischen Gast und so begleite ich seine Familie zum Ritual.

 

Jeetu erklärt mir, dass die Einwohner, die sich selbst keine eigene Statue leisten können, gemeinsam die Zeremonie begehen und eine (weit größere) durch die Gemeinde gestiftete Figur feiern.

 

Nachdem die Zeremonie zuende ist, fahren wir zurück zum Guesthouse und mich erwartet die nächste Überraschung- ich werde von der Familie zum Abendessen in ihr Haus eingeladen-

heute komme ich wohl nicht mehr aus dem Grinsen raus...

So sitzen wir kurze Zeit später bei einem Chai in der Wohnung der Familie und unterhalten uns lange über das eigene Leben, unsere unterschiedlichen Kulturen und machen Fotos.

Als ich erzähle, dass ich Musik mache, holt Jeetus Schwester ihre Gitarre und so spiele ich ihnen "unsere" westliche Musik vor, sie singen indientypische Lieder... kurz gesagt: Wir verbringen einen zwar alltäglichen, aber umso faszinierenderen Abend, der für mich an der Spitze der über die Jahre erlebten Reiseerfahrungen steht.

 

Am nächsten Morgen nehme ich mehr als dankbar Abschied und setze mich in den Überlandbus gen Jaipur, wo mich sicherlich tolle Erlebnisse erwarten werden, aber die Zeit in Bharatpur kann wohl kaum getoppt werden...

 

So long,...

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Kommentare: 2
  • #1

    Simone (Freitag, 03 Februar 2017 20:30)

    Hallo, toller Artikel, der meine Erinnerungen an meinen Besuch in Bharatpur zurückbringt. Mir hat es dort auch super gut gefallen. Tolle Fotos hast du geschossen.
    VG Simone

  • #2

    Patrick (Samstag, 04 Februar 2017 12:36)

    Dankeschön Simone,
    freut mich, wenn die Bilder und der Artikel Erinnerungen zurückbringen-
    ich bin wohl bei weitem nicht der einzige, der dieses "Städtchen" sehr schätzt, egal was mancheiner in Agra einem empfohlen hat :-)